Feuerwehr

Schwarzenbek

Einsatz Nachsorge

Mittwoch, 11.05.2005 12:55 von Jan Piossek

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Es war Samstag um 9.55 Uhr. Der Melder piepte, die Schwarzenbeker Feuerwehrmänner eilten zum Gerätehaus. Sie setzten mal wieder ihr eigenes Leben aufs Spiel, um das anderer zu retten. Diesmal hatten sie keine Chance: Ein gehbehinderter 70-Jähriger verbrannte hilflos in seinem Bett. Er war schon tot, als die Retter zum Einsatz gerufen wurden. Zu spät wurde das Feuer bemerkt.

Eine Situation, die selbst erfahrene Retter belastet, die schon öfter Unfallopfer bergen mussten. Brandtote sind selten. Die Feuerwehrmänner Mike (23) und Patrick (27, Namen geändert) wurden nach ihrem Einsatz in der Gluthitze vom Einsatzleiter zur Seite genommen, aus der Arbeit rausgelöst. Das Angebot einer Betreuung durch die Mitglieder der Fachgruppe Vorsorge/Nachsorge des Kreis-Feuerwehr-Verbandes nahmen sie gerne an. Noch während der Einsatz lief. Dennoch blieben Albträume nicht aus. Mike sah sich auch tagsüber mehrfach mit den Bildern des Brandhauses konfrontiert.

Hinrich Jansen-Dittmer, der Leiter der Fachgruppe zur psycho-sozialen Betreuung von Einsatzkräften, organisierte mit seinem Kollegen Jörg-Peter Friedrichsen aus Gülzow eine Nachsorge. In einer ersten Gesprächsrunde berichteten Mike und Patrick von ihrem Einsatz. Mike las Zeitung, Patrick frühstückte, als ihre Melder sie riefen. Rein in den Schutzanzug, die 25 Kilo schwere Atemschutzausrüstung auf und ab ins brennende Haus. "Wir wussten, da sollte noch jemand drin sein", berichtet Patrick. Über eine Treppe ins Dachgeschoss. Mike: "Da war im Flur nur knapp über dem Boden ein kleines Stück frei vom Rauch." Im Bad ist niemand, im ersten Zimmer auch nicht. Weiter in die Küche. Sie ist leer, ein angrenzendes Zimmer ebenso. Hier ist alles schwarz und giftig verqualmt, die Sicht Null. Dank der Wärmebildkamera erkennt Patrick schnell eine heiße Wand der Küche, merkt, dass es dahinter noch weitergehen muss. Also tastend weiter, zwei Mal um die Ecke. Patrick entdeckt etwas in einem roten Pullover. Ein Teddy allerdings, so groß wie ein Kind. Die kurze Hoffnung ist dahin. "Das war eine gemeine Falle", erinnert er sich. Nach eineinhalb Wochen geht er zum zweiten Mal den Weg im Haus. Zum Überwinden der Traumagrenze.

Damals war es extrem heiß. Den Brandgewöhnungscontainer in der Kreis-Feuerwehr-Zentrale, den beide schon erlebt hatten, nennen sie trotz seiner 400 Grad Hitze im Vergleich zu diesem realen Einsatz einen Kühlschrank. "Ich habe noch nie so einen heißen Ort erlebt", berichtet Mike. Der 23-Jährige spritzt Löschschaum auf den heißen Boden, doch der verdampft dort sofort, der Schutz ist dahin. Patrick verbrennt sich die Knie, so heiß ist der Boden. Von außen trifft die Retter eine Ladung Löschmittel. Wie unterschiedlich die Empfingen dadurch waren, zeigen die Erinnerungen. Mike: "Ich habe mich plötzlich sehr erschrocken, es krachte in dem Augenblick auch laut, als Teile von der Decke stürzten." Patrick war erleichtert. "Ich wusste, wir haben Unterstützung von außen", erklärt er. Alles vor ihnen steht in Flammen.

"Für fünf oder sechs Sekunden habe ich dann kurz mit dem Strahlrohr in das lichterloh brennende Zimmer gehalten. Die großen Flammen waren dadurch schlagartig aus", sagt der 27-Jährige. Die Männer entdeckten die verkohlte Leiche, meldeten ihre Feststellung dem Einsatzleiter.

Sie hatten alles riskiert und doch keine Chance. "Was ihr geleistet habt, war für diesen Einsatz das Optimum", bestätigt ihnen Hinrich Jansen-Dittmer, als er sie nochmals ins Haus begleitet. Mike und Patrick tragen ihre Atemmasken, um sich in die Situation zurückzudenken. "Denkt laut nach, sagt, was ihr damals erlebt habt", fordert sie Jansen-Dittmer auf. "Die Stärke einer Feuerwehr zeigt sich auch im Gefühl füreinander. Wer sich kennt, der merkt, wenn etwas nicht mehr mit seinem Angriffspartner stimmt. Darauf muss man reagieren", erklärt der 54-jährige Breitenfelder. Leider sei es noch immer weit verbreitet, durch Alkohol eine "nasse Stressbewältigung" zu leisten. "Dabei spielt eine Rolle, dass psycho-soziale Probleme von einigen Kameraden noch immer als mangelnde Coolness angesehen werden", weiß der Arbeitswissenschaftler. Mit Krankenkassen und Berufsgenossenschaften gebe es auch Probleme. "Die verhalten sich oft noch nach dem Grundsatz, Verletzungen müssen sichtbar sein. Aber seelische Probleme sieht man nicht. Und dann ist da dank der Gesundheitsreform die überall herrschende Frage, wer was bezahlt", sagt Jansen-Dittmer. Die Seelsorger arbeiten zurzeit ausschließlich ehrenamtlich.

Wer aus seinem seelischen Tief keinen Ausweg findet, leide dauerhaft unter den Eindrücken, weiß der 54-Jährige. "Psychotraumatisches Belastungssyndrom" heißt das. Albträume, Schlaflosigkeit, Beziehungsschwierigkeiten, Ermüdung und äußere Stille können die Folge sein. Mike und Patrick sind über die belastenden Eindrücke mittlerweile hinweg. "Diese Gespräche im kleinen Rahmen haben mir sehr geholfen. In einer größeren Gruppe hätte ich mich nicht so offen mit den anderen austauschen können", meint Mike. Die Verantwortlichen der Schwarzenbeker Feuerwehr werden ihre Retter weiterhin betreuen, sie langsam wieder an Einsätze in erster Reihe gewöhnen.

Nach den Brandanschlägen auf die von Ausländern bewohnten Häuser in Mölln Anfang der 90er Jahre hatte sich Hinrich Jansen-Dittmer erstmals Gedanken über eine organisierte Betreuung von Einsatzkräften gemacht. Heute gehören dem vor fünf Jahren gegründeten Team 14 Mitglieder an. "Uns ist wichtig, dass alle, die helfen, die feuerwehrtechnische Ausbildung und Einsatzerfahrung haben. Sie müssen sich in die Lage der Kameraden versetzen können, wissen, was die durchgemacht haben. Nur so kann man verstehen und helfen", erklärt Hinrich Jansen-Dittmer. 2004 leistete das Team 15 Einsatz-Nachsorgen. Sieben Mal halfen die Kameraden direkt an der Einsatzstelle.

 

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